Wenn der Bielstein Feuer speit
Lippes Gewitterzentrum ist Hiddesen
von Robin Jähne
Es lag bereits in der Luft: Der Tag war warm gewesen, am Abend hatte die Sonne das Hermannsdenkmal in rotes Licht getaucht. Dann aber zogen zügig dunkle Wolken herbei. Ein dumpfes Grollen, dann zuckten die erste Blitze hell über den düsteren Himmel.
An diesem Abend jedoch waren es besondere Blitze: Aus der Spitze des Bielstein-Senders heraus schossen die Blitze hoch bis in die Wolken und zogen ihre kilometerlange Lichtspur entlang des Teutoburger Waldes bis nach Steinheim hin.
„Superblitze“ werden sie genannt. Aus der Entfernung sehen sie aus wie der Buchstabe „V“ oder ein „Y“, mit krakeliger Schrift in den Himmel gemalt. Dieses Aussehen verrät dem Fachmann, dass es sich um Positiv-Aufwärtsblitze handelt. Der Bielstein-Sender bietet sich mit seinen 300 Metern Höhe geradezu als Startpunkt an.
Seitenäste solcher Blitze können sogar noch viele Kilometer entfernt in die Erde einschlagen.
In der Vorstellung der Griechen warf ihr Gott Zeus seine Donnerkeile gen Erde, um allzu vorwitzigen Sterblichen einen Denkzettel zu verpassen. Die Germanen glaubten, es sei Thor, der gegen boshafte Riesen kämpfe, wobei die Funken seines Hammers als Blitze zu Boden fallen. Erst 1752 enttarnte Benjamin Franklin die elektrische Natur des Blitzes.
Was bei Gewitter über unseren Teutoburger Wald zieht, kann gewaltige Energien besitzen. In Gewitterwolken ballen sich oft Tausende Tonnen Wasser und es gibt Aufwinde mit mehreren hundert Stundenkilometern, die sogar kiloschwere Eisbrocken in der Luft halten können.
Doch wie funktionieren Gewitter eigentlich? Am Anfang steht meist ein harmloses Wölkchen, das unscheinbar über den blauen Himmel zieht. Jeder Laie wird es als vollkommen harmlos einstufen, jeder Fotograf freut sich über das dekorative Objekt am Firmament.
Doch Wolken können hinterlistig sein.
Bei den sprichwörtlichen „Schönwetterwolken“ kann man im Vorfeld nicht erkennen, ob sie später zu einem Gewitter werden. Ein erstes Alarmzeichen ist es, wenn sie beginnen, blumenkohlartig in die Höhe quellen.
Allen Gewittern ist eines gemeinsam: Eine starke Bewegung feuchter, wärmerer Luft nach oben.
An einem Berg zum Beispiel muss sich die Luft hinaufschieben, um ihn zu überwinden. Oder wenn kalte (und dadurch schwerere) Luftmassen unterwegs sind, schieben sie sich gern unter bereits vorhandene, wärmere Luft. Die leichtere Warmluft wird davon mit Druck nach oben geschoben. Genauso, als würde der Inhalt eines Putzeimers mit viel Schwung unter einen Haufen Bettfedern gegossen. Die leichten Bettfedern würden dabei hoch in die Luft verwirbeln. Da dies sowohl im Sommer als auch im Winter passiert, kann es zur jeder Jahreszeit heftige Gewitter geben.
Wichtig für ein ordentliches Gewitter ist neben der Aufwärtsbewegung der wärmeren Luft außerdem noch, dass sie auf ihrem Weg nach oben schnell genug abkühlt und nicht zu trocken ist. Werden diese Bedingungen erfüllt, nennt der Wetterfrosch die Atmosphäre „labil“.
Wenn dann einmal eine Aufwärtsbewegung angestoßen ist, ist sie nicht mehr aufzuhalten. Ein bestimmter Wolkentyp, die so genannten Altocumulus-Wolken, die aussehen wie gerupfte Wattebäusche, weisen darauf hin.
Allerdings haben sie eine boshafte Eigenschaft: Sie entstehen innerhalb von Minuten und verschwinden genauso schnell wieder. Dann lacht die Sonne erneut fröhlich vom blauen Himmel. Und niemand ahnt, dass ein Gewitter droht.
Was in einer solch labilen Atmosphäre passiert, lässt sich am besten mit dem häufigsten Gewittertyp erklären, dem Hitzegewitter:
Die Sonne erwärmt den Boden, der die Wärme an die unterste Luftschicht weitergibt. Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aus der Umgebung aufnehmen als kalte.
Die in Luft gebundene Feuchtigkeit ist normalerweise unsichtbar. Sie tritt erst in Erscheinung, wenn sie zu Wassertröpfchen kondensiert. Am Boden würden wir diese Tröpfchen Nebel nennen. Oben am Himmel wird aus einem Rudel solcher Tröpfchen eine Wolke. In Form von Blasen steigt die feuchte Warmluft durch die höhere, kältere Luft empor wie Heißluftballone. Wenn diese feuchte Warmluftblase von außen abkühlt, wird das enthaltene Wasser wieder ausgeschwitzt und kondensiert zu besagten kleinen Tröpfchen.
Die in der Luftfeuchtigkeit steckende Wärmeenergie wird dabei innerhalb der Wolke wieder frei. Die Wolke beheizt sich gewissermaßen selbst und kann weiter steigen, sich aufblähen und immer mehr Feuchtigkeit kondensieren. So entsteht die typische, schnell wachsende schneeweiße Blumenkohlform der Wolke am Himmel.
Wenn diese Blumenkohl-Wolke nun oben ausfranst, wird es gefährlich, die harmlose Schönwetterwolke hat sich in eine Gewitterwolke verwandelt. In Höhen von acht bis 12 Kilometern wurden aus den Wassertröpfchen kleine Eiskristalle, die immer höher gewirbelt werden. Doch dann, als Grenzschicht zum nächsten Stockwerk unserer Atmosphäre liegt die Tropopause als Temperatur- und Feuchtigkeitsschranke wie eine Schicht Öl auf Wasser. Die normale Gewitterwolke wird hier am weiteren Aufsteigen gehindert. Darunter breitet sich der vereiste Teil der Gewitterwolke nach allen Seiten aus. Aus der Ferne sieht die Wolke dann aus wie ein riesiger Amboss.
Während die Eiskristalle entstehen, bilden sich in den Gewitterwolken getrennte Bereiche mit positiver und negativer Ladung, wie in einer Autobatterie. Der Unterschied zwischen Plus und Minus beträgt jedoch nicht nur zwölf Volt, wie im Auto, sondern die Wolkenbatterie bringt es auf mehrere Millionen Volt. Irgendwann gibt es dann einen Kurzschluss, den ersten Blitz.
Dabei bahnt sich erst eine schwache, und meist nicht oder kaum sichtbare Vorentladung den Weg und verästelt sich. Ihr kommen aus dem Boden oder aus anderen Wolkenteilen Fangentladungen entgegen. Erst dann schießt der Blitz durch die entstandene Verbindung. Die meisten Blitze schießen von Wolke zu Wolke, oder von der Wolke in den Boden. Manchmal kommen sie auch von weit oben aus der Wolke heraus, bevor sie einschlagen, das ist dann der sprichwörtliche „Blitz aus heiterem Himmel“. Deswegen sollte auch schon entferntes Gewitter mit Vorsicht beobachtet werden.
Die Luft um einen Blitz wird auf 20 000 bis 30 000 Grad erhitzt, das ist deutlich wärmer als die Sonnenoberfläche, so dass sie regelrecht explodiert – das hören wir als Donner.
Der Schall dieser explodierenden Luft ist übrigens deutlich langsamer als das Licht des Blitzes. Mit durchschnittlich 333 Metern pro Sekunde klüngelt er so dahin. Das Licht des Blitzes hingegen ist in Sekundenbruchteilen zu sehen, in Lichtgeschwindigkeit eben. Ist ein Blitz also weiter weg, kommt der Donner dementsprechend hinterher getrödelt, bis er bei uns angekommen ist und wir ihn hören. Dadurch kann aber seine Entfernung fest gestellt werden: Die Sekunden zwischen Blitz und Donner, durch drei geteilt, ergeben die Entfernung des Blitzes in Kilometern.
Das Donnerrollen entsteht, wenn unterschiedliche Wolken-Etagen den Schall reflektieren und auch der dazu gehörende Blitz selbst sehr langgestreckt ist. Der erste Knall des vorderen Endes ist dann eben eher am Ohr als der Explosionssound des hinteren oder oberen Teil des Blitzes.
Entfernt sich ein Gewitter immer weiter, ist selbst der stärkste Donner irgendwann nicht mehr zu hören. Oft sind dennoch die Blitze zu sehen.
Das ist die sogenannte „Zone des Schweigens“.
Später kann Donner wieder hörbar werden, wenn er an höheren Wolken- oder Luftschichten reflektiert wird. Fast alle Regenfälle bei uns entstehen übrigens auf folgende Weise: Die Eiskristalle oben in der Wolke werden irgendwann zu schwer, fallen herunter, schmelzen und erreichen den Boden als die gewohnten Regenschauer.
Fallen jedoch Eiskörnchen herunter und geraten in einen Bereich, in denen kalte Wassertröpfchen unterwegs sind, können diese an den Eiskörnchen festfrieren. Aufwinde tragen diese Körner dann hoch, sie fallen erneut und neue Schichten können daran festfrieren. Irgendwann kann auch der stärkste Aufwind sie nicht mehr in der Luft halten, sie tauen nur teilweise und kommen als Hagel bei uns an.
Wissenswertes und Verhaltenstipps zu Gewitter:
Wenn sich der Himmel bei Gewitter gelb, grün oder rötlich verfärbt, dann kann das ein Warnzeichen für Hagel sein. Eine Decke auf dem Auto oder Fenster wirkt dann schon Wunder. Ansonsten sind Hagelschläge oft nur wenige hundert Meter breit – manchmal kann ein Garten total zerschlagen sein und beim Nachbarn steht noch alles.
Inzwischen werden sogar immer häufiger Tornados in Deutschland beobachtet, vor wenigen Jahren fegte ein kleines Exemplar auch über das benachbarte Augustdorf und ein weiterer über Kohlstädt hinweg.
Im Haus ist man bei Gewitter geschützt. Auch im Auto ist man ziemlich sicher, es wirkt wie ein schützender Faraday’scher Käfig. Wer jedoch draußen vom Gewitter überrascht wird, sollte sich in eine Bodenmulde oder einen Graben kauern. Man wird nass und dreckig, aber bleibt am Leben. Allein stehenden Bäumen sollte man nicht zu nahe kommen, egal ob Eiche oder Buche. Das alte Sprichwort, „Eichen sollst Du weichen und Buchen sollst du suchen“ ist eine glatte Lüge!
Im Wald ist man nur dann relativ sicher, wenn man sich nicht gerade den höchsten Baum ausgesucht hat, sondern zwischen den Bäumen auf den Boden kauert.
Wichtig ist es, bei Gewitter die Füße eng aneinander zu stellen. Denn wenn der Blitz auch nicht direkt trifft, so verteilt sich doch seine Spannung sehr unterschiedlich im Boden. Und wenn dann zufällig am rechten Fuß 100.000 Volt sind und am linken noch 50.000 Volt, bei einer Spannungsdifferenz von 50 000 Volt, der Schrittspannung, fließt der Strom nicht als Kribbeln durch den gut leitenden Körper, dann ist es tödlich. Deswegen erwischt es auch immer wieder mal große Tiere auf der Weide.
Ein schlauer Kopf errechnete übrigens, dass ein starkes Gewitter den Boden mit einem Zentner Stickstoffdünger pro Hektar versorgt. Der Blitz verschweißt nämlich Sauerstoff und Stickstoff der Luft, das Ganze wird im Regen zu einer leichten Säure gelöst und bildet dann mit Kalkresten im Boden den Dünger.
Gewitter in Lippe:
Hier in Lippe gab es an der Nordseite des Teutoburger Waldes bei Detmold früher eher seltener Einschläge, meist machen Gewitter einen Bogen über das Extertal und Kalletal, oder lösen sich kurz auf und bilden sich an der Weser neu. Das gilt jedoch nur für Westlagen, wenn das Donnerwetter aus dieser Richtung kommt. Ziehen, was immer häufiger passiert, Gewitter aus anderer Richtung heran, dann schepperts auch in der Residenz und speziell in und um Hiddesen. Hermannsdenkmal und Bielstein teilen viele der Einschläge bei Detmold untereinander auf. Dabei übernimmt der Sendemast den Löwenanteil. Als der Bielstein noch nicht stand, krachte das Gros der Blitze in das erhobene Schwert der Figur.
So entstand auch die Legende, das Hermannsschwert würde glatt die Wolken aufschlitzen und so für Platzregen in Lippe sorgen. Wissenschaftlich ließ sich das jedoch nicht beweisen.
Gewitter leben meist nur 45 Minuten. Dann ist die warme Luft verbraucht, hat der herabfallende Regen den Aufwind gestoppt. Doch es gibt besonders große Gewitter, die länger leben, sich ständig erneuern oder auch ganze Rudel bilden. Diese „Cluster“ verursachen oft besonders starke Verwüstungen, sind aber auch recht selten.
Das Pfingst-Unwetter vor ein paar Jahren war so ein Rudel, und auch das heftige Gewitter, das am 7. August 1981 über Lippe zog. Ebenso wie auch das Gewitter am 9. Juni 2014, bei dem die Fotos der seltenen Positiv-Aufwärtsblitze entstanden, die an der Spitze des Bielstein-Senders bei Hiddesen ihren Anfang nahmen.
Alle Fotos: © Robin Jähne